Antwerpen
Am 16. August fiel das letzte Fort der Festung Lüttich. Die Feldarmee zog nach Antwerpen zurück. Die befestigte Stadt Antwerpen oder die Festung Antwerpen spielte die Rolle von operationellen Stützpunkt und „Nationaal Reduit“ oder Zufluchtsort für die Feldarmee und die politischen Einrichtungen. In Antwerpen müssten Frankreich und Großbritannien, als Garanten der belgischen Neutralität, zu Hilfe kommen. Inzwischen stieß das deutsche Heer weiter durch Nordbelgien hindurch vor und wendete gemäß dem Schlieffenplan nach den Süden.
Am 25. August und am 9. September machte die belgische Armee einen Ausfall von der Festung Antwerpen aus auf der Flanke der deutschen vorstoßenden Armeen.
Die vitalen Fernmeldelinien zwischen den Inseln und dem Kontinent mussten abgebrochen werden. Die deutsche Flotte war dem Auftrag nicht gewachsen. Antwerpen und die anderen Häfen an der Nordsee hatten einen direkten strategischen Belang. Um den Briten den eventuellen Gebrauch des Hafens von Antwerpen zu verweigern und um die störenden Ausfälle auf ihrer Flank zu beenden, entschieden die Deutschen die Festung Antwerpen zu belagern und einzunehmen.
Antwerpen wurde angegriffen, sobald die schwere Belagerungsartillerie mit den Forts um Maubeuge fertig war. Das deutsche 3. Reservekorps unter dem Befehl von General von Beseler, das Antwerpen bewachte, war für diesen Auftrag zuständig. Es wurde verstärkt und zählte dann fünf Infanteriedivisionen mit 120 Stücken Belagerungsartillerie.
1914 war der offizielle Name der Festung Antwerpen „Position fortifiée d’Anvers“ oder „PFA“ (Befestigter Stützpunkt Antwerpen). Sie bestand aus einem inneren und einem äußeren Verteidigungsgürtel, unterstützt von den Forts und Schanzen. Es waren ältere und neuere Bauten, die in der Periode von 1859 bis 1914 gebaut und verbessert wurden. Die Forts und Schanzen wurden nach der Mobilmachung völlig bemannt.
Am 28. September begann die Belagerung der befestigten Stellung von Antwerpen. Die Forts wurden mit speziell zu diesem Zweck entworfener schwerer Artillerie, Kaliber 30,5 cm und 42 cm, beschossen.
Die Forts und Schanzen der äußeren Verteidigungsgürtel wurden einer nach dem anderen von der deutschen Belagerungsartillerie, die selbst außer Schussweite der belgischen Artillerie blieb, in Trümmer geschossen. Anfang Oktober waren die Forts von Walem, Sint-Katelijne-Waver, Koningshooikt, Lier, Kessel und einige Schanzen in deutsche Hände.
Am 5. Oktober konnten die Deutschen südlich von Lier die Nete überqueren und einen Brückenkopf bilden. Ein Tag später brachten sie die Kanonen zum Brückenkopf und nahmen sie die 5. Armeeabteilung unter Beschuss. Am 6. Oktober wurde auch das Fort Broechem, nördlich von Lier und der Kleine Nete, ausgeschaltet. Die wichtigste Widerstandsstellung war durchbrochen.
Im Nachmittag trafen die Militär- und Zivilautoritäten sich in der Stadt. Sie entschieden einstimmig die äußeren Verteidigungsgürtel aufzugeben. Das Gros der Feldarmee würde nachts die Schelde zum linken Ufer überqueren.
Zuerst wurden die Forts von Merksem, Schoten, Kapellen, Brasschaat und Lillo gesprengt. Die enormen Vorräte wurden weggeholt oder vernichtet. Die Feldarmee überquerte in der Nacht vom 6. auf dem 7. Oktober die Schelde über beziehungsweise eine Pontonbrücke auf der Höhe von Rupelmonde, eine Floßbrücke bei Hemiksem und eine Pontonbrücke auf der Höhe von Burcht. König Albert I. zog nach Sint-Niklaas ab und begab sich zum Großen Hauptquartier.
Am 6. Oktober hatten die deutschen Truppen Artilleriestücke im Brückenkopf innerhalb Schussweite des Stadtkerns aufgestellt. Am 7. Oktober forderten sie die Übergabe der Stadt und drohten mit der Bombardierung von Antwerpen. Die Militär- und Zivilautoritäten der Stadt und der Festung verweigerten und um 11 Uhr abends begann die Beschießung der Stadt. Mehr als 4000 Kanonenkugel und 140 Zeppelinbomben fielen auf der Stadt.
Der deutsche Aufmarsch durch Nordbelgien hatte schon einen enormen Strom von Flüchtlingen in Gang gebracht. Während der Belagerung der Festung Antwerpen und vor allem ab der Beschießung der Stadt entflohen viele Bürger der Stadt.
Der „Festungsring Antwerpen“ fiel am 10. Oktober 1914. Die Feldarmee fing zusammen mit König Albert I. den Rückzug zur Yserebene an.